Katie Caiger
Und wie sind die so, die Briten?
Aktualisiert: 1. Sept. 2021
Diese Frage wird mir immer wieder gestellt, und das seit 9 Jahren. "Die Briten"... naja! Wie sind denn "die Deutschen" so? Kann und darf man das wirklich verallgemeinern und damit eine ganze Nation über einen Kamm scheren?
England hat derzeit etwas über 68 Millionen Einwohner. In meiner Zeit habe ich vielleicht ein paar Hundert davon kennenlernen dürfen - mit ein paar Dutzenden war oder bin ich enger befreundet. Jeder Versuch, ein Volk zu charakterisieren, ist kläglich zum Scheitern verurteilt, finde ich. Es gibt offene, schüchterne, laute, stille, aggressive, überaus höfliche, kühle und warmherzige Menschen hier...

Ich kann aber einfach mal etwas darüber erzählen, wie es mir in meinen 9 Jahren in Mittel- und Südengland ergangen ist.
Offenheit: Ich würde die Engländer als recht skeptisches Volk (Stichwort: Inselvolk!) beschreiben. Es hat in Südengland gute 3 Jahre gedauert, bis ich über die unverbindlichen Smalltalk-Satzbausteine hinaus nennenswerte Freundschaften aufbauen konnte. Der Dorsetler, wenn wir ihn mal stereotypisch beschreiben wollen, ist vom Naturell her Eigenbrötler, Neuem gegenüber skeptisch und bleibt gern unverbindlich. Das heißt nicht, dass die Menschen hier nicht freundlich sind. Aber die Mentalität auf dem Land ist schon eher eigenwillig. Vielleicht lässt sich Dorset mit dem Schwabenland vergleichen, wo die Uhren eben anders ticken als in London oder Berlin.
Hilfsbereitschaft: Wer Dich nicht kennt, hilft Dir nicht. Über die üblichen Höflichkeiten ("Excuse me, you just dropped your glove!") hinausgehend tue ich mich schwer damit, mir Nettigkeiten in Erinnerung zu rufen, die einfach mal so passieren oder mit dem Ziel, dem anderen das Leben einfacher zu machen. Ich nenne mal den typischen school-run als Beispiel. Auf dem Land ist es üblich, sein/e Kind/er mit dem Auto zur Schule zu fahren. Nun fahren 400 Kinder jeden Tag zu unserer Schule - und wo in Deutschland längst eine Fahrgemeinschaft organisiert worden wäre, um das Ganze effizienter zu gestalten, die Umwelt zu schonen und Zeit und Geld zu sparen, macht hier jeder sein eigenes Ding. Again: Ich habe auch nette Freundinnen, die mal unser Kind in Empfang nehmen, falls wir spät dran sind. Aber man (ich? die Briten?) ist meines Erachtens schon viel gehemmter, seinen Mitmenschen Unannehmlichkeiten ("So sorry to inconvenience you!") zu verursachen.
Verbindlichkeit: In England ist - mal pauschal gesagt - nix in Stein gemeißelt. Wenn man einer Bekannten vorschlägt, man könne sich ja mal zum Kaffee treffen, und diese mit einem überschwänglichen "Oh, yes, pleeease! That would be lovely!" reagiert, heißt das nicht, dass das Treffen jemals zustande kommt. Ein Brite (Verallgemeinerung, I know...) sagt nicht Nein, auch dann nicht, wenn er/sie absolut keine Lust oder Zeit hat. Deshalb "Yes, absolutely!!!" - es tut dem Gegenüber ja weniger weh und die Scheinharmonie bleibt gewahrt. Auch unter Freunden kann es vorkommen (es ist mir auch passiert...), dass man sich plötzlich einfach nicht mehr meldet und die Freundschaft dann im Sande verläuft. Warum? Niemand weiß es. Vielleicht spielt hier Punkt 4 mit rein...
Konfliktbereitschaft: Ein ehrliches Wort oder ein klärendes Gespräch sind hier schwer zu finden, auch unter FreundInnen. Die Lösung, wenn etwas suboptimal gelaufen ist und man vom anderen enttäuscht ist? Man meldet sich... nie wieder. Ghosting, wie es auf Neudeutsch heißt, ist hier ein Nationalsport. Ich komme aus dem Ruhrgebiet und liebe offene Aussprachen und klärende Gespräche. Ich bin mit einer selbstverständlichen Direktheit aufgewachsen, die ich hier oft sehr vermisst habe. Mittlerweile weiß ich besser mit der Indirektheit (manchmal auch schlichtweg: Feigheit) umzugehen. Gerade als Neuankömmling und frisch gebackene Mama war es aber auch echt manchmal verdammt hart, Ghosting zum Opfer zu fallen. Ich würde immer lieber gerne wissen, was denn nun los ist. Vielleicht kann man dann eine Lösung finden, Dinge noch einmal klären, oder dem anderen die Gelegenheit einräumen, sich zu erklären/entschuldigen. All das wird einem aber entzogen, wenn man "geghostet" wird. Nicht so einfach...
Unterm Strich kann ich aber sagen: die letzten neun Jahre waren die besten meines Lebens. Ich liebe unser Leben in Südengland, wir haben gute Freunde, fühlen uns integriert und sind happy. Gut ankommen dauert eben Zeit. Wer in Dorset glücklich werden will, braucht vor allem zwei Dinge: Gummistiefel und Geduld ;)
Dich interessieren die britischen Manieren, Feinheiten und Fettnäpfchen? Dann ist mein Podcast vielleicht interessant für Dich!
Alles Liebe aus der Seaside Practice,
Deine Katie.

Über die Autorin
Katie Caiger ist Jahrgang 1986, Ehefrau, Mama, ausgebildete Beraterin, Podcasterin und Mentorin mit den Schwerpunkten Resilienz, Selbstverwirklichung und Erfüllung. Sie stärkt Frauen dabei, im In- und Ausland ein zufriedenes, ausgeglichenes Leben zu führen. Die erfolgreiche Gründerin und Potenzialentfalterin ist zweifache Auswanderin und lebt mit ihrem britischen Ehemann, den gemeinsamen zwei Töchtern sowie Hündin Frida an der Südküste Englands in der Grafschaft Dorset. Außerhalb ihrer Sprechzeiten ist sie leidenschaftliche Fotografin, Outdoor-Abenteurerin und Mutstifterin.

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